In den letzten Wochen habe ich das Buch „Erzählende Affen“ von Samira El Ouassil und Friedemann Karig, das vor einigen Monaten erschienen ist, gelesen.
Es hebt sich wohltuend von den vielen „So machst du gutes Storytelling“-Büchern ab, weil es viel grundsätzlicher auf das Erzählen und die Bedeutung von Geschichten in den letzten Jahrtausenden eingeht.
Dabei darf natürlich die klassische Heldenreise nicht fehlen, weil sie halt auch in hunderttausenden Erzählungen in verschiedensten Varianten aufgegriffen wird. Eine Heldenreise ist letztendlich eine Geschichte, die in verschiedenen Stationen abläuft, bis der Held schließlich gewinnt. Viele Erzählungen der letzten Jahrtausende haben dabei sehr ähnliche Stationen.
Das Ziel des Helden ist das einsame Besiegen eines Antagonisten. Er ist offensiv, immer in Bewegung, will erobern, kennt kein Stillstand, keine Ablenkungen. Dazu gibt es Mentor:innen und Verbündete, aber er überwindet die entscheidenden Herausforderungen individuell. Er ist heroisch, wenn er Unabhängigkeit unter Beweis stellen kann. Am Schluss reitet der Cowboy alleine in den Sonnenuntergang.
Im Buch gibt es viele gute Beispiele, sehr spannend erzählt. Aber dann hat das Buch einen Bruch. Gespürt habe ich ihn schon beim Lesen, weil der zweite Teil gegenüber den ersten ziemlich abfällt. Warum? Im zweiten Teil geht es um die Zukunft, die Klimakrise und wie wir darauf in Zukunft reagieren können. Und da wird es vage, schwammig. Weil das halt mit der klassischen Heldenreise jetzt so nicht mehr so einfach ist. Der einsame Held der das Klima rettet ist nicht in Sicht und auch viele kleine Helden machen das Kraut nicht fett.
Dabei gäbe es eine Lösung, die auch im Buch steht. Sogar an der richtigen Stelle. Aber sie wird nicht verwendet nicht fortgeführt und wirkt deswegen sogar ein wenig deplatziert. dabei wäre sie der geniale Übergang gewesen in den zweiten Teil gewesen: Die Heldinnenreise.
Ouassil und Karin erläutern sehr schön den weiblichen Zugang zur Heldenreise: Bei der Heldin ist das Ziel der Reise (der Geschichte) die Wiedervereinigung, das Finden einer Familie, von Heimat oder Rettung. Sie kommt langsam, aber dafür sicher durch Kommunikationsbeschaffung und Information voran (Sie ist eine Baumeisterin oder Dirigentin, sie orchestriert). Antagonist ist die Isolation. Sie hat ein Netzwerk von Gefährt:innen, ihre sozialen Beziehungen sind belastbar. Sie ist eine integrative Kraft, je mehr sie um Hilfe bitten kann, desto besser ist sie.
Und solche Menschen brauchen wir, glaube ich, dringend für die Lösung der Klimakrise. Das müssen jetzt nicht nur Frauen sein, ich kenne auch genug Männer die nach diesem weiblichen Prinzip der Held:innenreise agieren.
Um die großen Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte zu bewältigen ist auch beim Storytelling ein Umdenken erforderlich. Wir müssen die Werte der Held:innenreise wieder in den Vordergrund stellen: Gemeinsam & kooperativ vorgehen, nicht das ICH sondern das WIR in den Mittelpunkt stellen. Ich bin mir sicher, dass es auch diese Form der Held:innenreise seit Jahrtausenden gibt. Sie wird nur durch die männliche Variante andauernd übertönt.
Wir werden die Krisen nur bewältigen wenn wir es schaffen, die vielen Einzelkämpfer und vorgeblichen Helden einzubremsen, die glauben sie können diese Krisen im Alleingang lösen und dann als lonley Cowboy davonreiten.
Deswegen ist es wichtig, dass wir die weiblich orientierte Held:innenreise viel mehr nach oben holen und endlich viel mehr solcher Geschichten erzählen.
Marcel Kneuer
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